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Rede zur Eröffnung der Ausstellung „ Das Kind in der Kunst“ im Haus Hildener Künstler am 27.August 2011

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Gordon, liebe Frau Kolling, 

Ich freue mich, heute zwei sehr unterschiedliche Künstlerinnen mit ihren Arbeiten zu einem gemeinsamen Thema vorstellen zu dürfen. Lidia Gordon scheint mit ihrer traditionellen Malweise der klassischen Porträtmalerei verpflichtet zu sein, während ihre Kollegin – Christa Kolling – die Technik des 21. Jahrhunderts zum Einsatz bringt. So ist ein spannungsreiches Gegenüber entstanden, das seine Verbindung in der gemeinsamen Thematik findet: Das Kind in der Kunst.  

Besonders für Lidia Gordon ist dies kein neues Terrain, denn sie beschäftigt sich seit langer Zeit mit diesem Thema. Nun sind Kinder in der Kunstgeschichte seit den Anfängen ein wichtiges Thema gewesen. Bereits die klassische griechische und römische Kunst nutzen Abbildungen kleiner und größerer Kinder – zum Beispiel als Begleiter der Liebesgöttin Aphrodite, aber von viel größerer Bedeutung sind die Darstellungen von Kindern in der abendländisch christlichen Kunst. Jesus als Kind und sein Vorläufer, der junge Johannes bevölkern ganze Museen. „Mensch­liche“ Kinder wurden erst später „bildwürdig“; mit dem Aufkommen weltlicher Porträts gehören auch die Bilder von Kindern zum Repertoire. Ganze Herrscherfamilien lassen sich samt Kinderschar malen, wobei die Kinder als Repräsentanten von Macht und deren Absicherung in die Zukunft verstanden werden. Das hat Konsequenzen für die Präsentation der Kinder, die weniger individuell sondern vielmehr als kleine Erwachsene abgebildet werden. Das gilt natürlich zunächst für Attribute und Kleidung, aber auch für Gestus und Pose. Nur in wenigen Fällen sind tatsächlich individuelle Kinderporträts entstanden.  

Mit dem Beginn der modernen Malerei wird zwar das Kind als Individuum entdeckt, aber oft hat die künstlerische Entwicklung weg von der porträtgenauen Wiedergabe eines Menschen geführt. Zu denken sei unter anderem an die Kinderporträts von Pablo Picasso. Eine andere Entwicklung führte in der modernen Kunst dazu, dass Kinder zu Trägern ideologisch bedingter Bedeutungen gemacht wurden – selbst Kinderporträts sind vor politisch motiviertem Missbrauch nicht sicher. Die hier vertretenen Künstlerinnen wollen aber ganz andere Wege beschreiten. Deshalb wenden wir uns nun den Bildern zu, die wir hier vor uns haben.  

Ich möchte mit den Kinderbildern von Lidia Gordon beginnen, die in dieser Hälfte des Raumes zu sehen sind. In den Bildern von Lidia Gordon stehen die porträtierten Kinder zentral im besten Wortsinne. Der sie umgebende Raum ist allenfalls durch Andeutungen zu erkennen, nichts soll vom eigentlichen Gegenstand ablenken. Höchstens einige Attribute wie ein Würfel oder ein Luftballon erweitern das jeweilige Bild, stehen dabei aber ganz im Dienste des Porträts.  

Die Kinderbilder sind stark von der Absicht geprägt, den so genannten natürlichen Charakter des Kindes als Individuum auszudrücken. Kindheit ist für die Lidia Gordon ein noch ungeprägter Raum, der nicht den Einschränkungen der Erwachsenenwelt unterliegt. Sie steht damit durchaus in der Tradition von Jean Jacques Rousseau, der in seinen berühmten Erziehungsroman „Emile“ die These vertritt, dass alles im Naturzustand gut sei, bevor Gesellschaft und Zivilisation es korrumpierten. Seit dieser Zeit ist die Kindheit oft als eine paradiesische Episode verstanden worden, in der Phantasie und spielerische Entwicklung einen positiven Zugang zur Welt ermöglichen, was dem erwachsenen Menschen nicht mehr im gleichen Maße erreichbar sei.  

Mit diesem Anspruch betreibt Lidia Gordon ihre Malerei. Die Annäherung an die abgebildeten Kinder beginnt immer mit einem persönlichen Kontakt zwischen Künstlerin und ihrem Modell. Der intensive Austausch und das Kennenlernen der Kinder mündet in Porträtfotos, die aber immer nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Abgebildeten, aber auch deren Eltern, zustande gekommen sind. Diese Fotos bilden dann die Basis für das eigentliche Bild. Die Momentaufnahme soll aber durchaus eine gültige Charakterisierung des individuellen Kindes leisten. Als Beispiel möchte ich auf das Bild von Helene verweisen, die ihren Zeigefinger zur Hervorhebung ihrer kindlichen Schnute einsetzt. Dieser verträumte, vermutlich unbewusste Ausdruck wird im Bild festgehalten, gewinnt so Dauerhaftigkeit und wird die erwachsene Helene an verlorene Momente ihrer Kindheit erinnern und dem Betrachter eine Ahnung von Bedauern über „tempi passati“ vermitteln.  

Das Bild von „Hänsel“ oder der „Straßenjunge“ lassen in den Gesichtern der kleinen Jungen schon Ansätze männlicher Kraft erkennen, die hier allerdings noch ganz auf sich selbst konzentriert ist und keinerlei Aggressivität gegen andere feststellen lässt. Hier zeigt sich die ganze Fülle kindlichen Potentials, das noch nicht in eine bestimmte Richtung kanalisiert ist. Das gilt auch in besonderem Maße, wenn Lidia Gordon Kinder mit Migrationshintergrund oder Zuwanderungsgeschichte abbildet (wie dies politisch korrekt heißt). „Bin mit blauem Schal“, „Türkisches Kind“ oder „Der kleine Italiener“ sind Musterbeispiele dafür, dass die in der Welt der Erwachsenen fest gefügten Vorurteile in der Welt der Kinder keine Rolle spielen. Das Individuelle der Porträts lässt eine Einordnung in Schubladen, die Festlegung auf ein bestimmtes Verhalten nicht zu. Den Kindern steht die Zukunft noch offen, ihre Phantasie, ihr Zugriff auf die Welt ohne Vorbehalte und Vorurteile birgt alle Möglichkeiten für eine zukünftige Entwicklung in sich.  

Noch phantasievoller sind die 4 Porträts, die sich schon formal zu einer Gruppe zusammenfügen: „Prinzessin des Herzens“, „Prinzessin mit Frosch“ und die Prinzen mit Schaukelpferd bzw. Hampelmann“. Diese kleine Serie über Kinderträume belegt eine Sonderrolle in den Kinderporträts. Das Individuelle tritt zu Gunsten von Dekor und Attributen zurück. Die etwas starr anmutenden Figuren erinnern an Spielkarten, bei denen die „aristokratischen“ Bilder von Königinnen und Königen ja durchaus besondere Bedeutung haben. Hier nun werden Kinderträume inszeniert. Die Kleidung der Kinder zwingt ihnen starres Posieren auf. Gemildert wird dieser erste Eindruck durch die lebhafte Ornamentik, die aus der Fülle osteuropäischer folkloristischer Musterung inspiriert zu sein scheint. Die verbleibenden Attribute erinnern an altmodisches Kinderspielzeug – Schaukelpferd und Hampelmann wirken wie Boten aus einem längst untergegangenen Kinderparadies und dennoch bleiben sie Symbole einer heiteren Kindheit. Nicht zufällig schmückt solches Kinderspielzeug zahlreiche Wohnungen Erwachsener, die Defizite ihrer Kindheit damit unbewusst zu kompensieren versuchen. Gegen soviel Theoretisieren setzt Lidia Gordon aber ganz bewusst einen sympathischen Kontrapunkt, den ich in den charmant abstehenden Ohren ihres „Prinzen mit Hampelmann“ entdeckt habe.  

Abschließend möchte Sie noch auf das Porträt von „Lena“ verweisen, in dem ohne die namentliche Kennzeichnung nicht zu identifizieren wäre, ob ein Junge oder ein Mädchen dargestellt ist. Auch dies ein weiterer Beleg dafür, dass in den Kindern eine wie auch immer geartete Festlegung noch nicht vorhanden ist. Erst unsere Erwachsenen-Normen schaffen dies.

 

Wenden wir uns nun der zweiten Künstlerin zu: Christa Kolling. Auch sie stellt Abbilder von Kindern in den Focus ihrer Arbeit und auch bei ihr steht das Foto am Beginn der künstlerischen Arbeit. Hier enden aber auch schon die vordergründigen Gemeinsamkeiten. Während Lidia Gordon sich technisch der eher traditionellen Malerei verpflichtet fühlt, setzt ihre Kollegin auf die Technik des 21. Jahrhunderts. Sie bearbeitet ihre Fotos nach der klassischen Entstehung – der Momentaufnahme mit digitalen Methoden. So versucht sie ihren Fotos eine besondere Form der Mehrdimensionalität zu geben. Durch den bewussten Einsatz digitaler Malprogramme gelingt es Christa Kolling verfremdende Effekte zu erzielen. Dies geht soweit, dass die ursprüngliche Individualität der fotografierten Kinder nicht mehr erkennbar ist.  

Wenn wir gleich die erste Arbeit dieser Reihe betrachten, wird das anhand des Bildes „CompuKid II“ deutlich. Die Überarbeitung bringt malerisch anmutende Elemente in das Foto, das so seine ursprünglich eindeutige Form verliert. Einzelne Partien wie die Frisur des Mädchens oder sein blaues Oberteil sind noch erkennbar, aber wir könnten keine individuellen Züge ausmachen. Die Technik der Auflösung fotografischer Eindeutigkeit durch die digitale Nachbearbeitung kommt auch in den anderen sog. „CompuKids“ zum Ausdruck.  

Der bewusst herbeigeführte Verlust von Individualität prägt auch die Arbeit „Maskerade“, in der das maskenhaft geschminkte Kindergesicht durch mehrfache Überlagerung stark verfremdet wird. Der Eindruck der Maske wird so verstärkt, es entsteht eine Barriere zwischen Objekt und Beobachter. Dagegen zieht die eindrückliche, lebendige Augenpartie des Kindes den Betrachter in seinen Bann, wozu die Doppelungen nicht unerheblich beitragen.  

Die digital erzeugten Varianten haben in den beiden hier gezeigten Arbeiten mit dem Titel „Wasserballett“ aber noch einen zusätzlichen Effekt. Die zentral gestellten Unterschenkel und Füße einer jungen Schwimmerin werden von blasseren gestaffelten Versionen gleichsam eingerahmt. Dadurch werden Bewegungsabläufe suggeriert. Der Eindruck ungezählter Wiederholung entsteht, bis der Tanz im nassen Element tatsächlich den Charakter eines Balletts annimmt. Ähnliches lässt sich im Gegenstück zu der Beinpartie sagen: Hier steht der Oberkörper einer kleinen Wasserratte im Zentrum, die sich in strengem Training bemüht, kunstvoll die Wasseroberfläche zu überwinden. Die Wiederholungen der wie eingefrorenen Bewegungen vermitteln diesen Eindruck, der sonst nur mit bewegten Bildern erzeugt werden kann.  

Eine Sonderrolle innerhalb dieser Ausstellung nimmt die Arbeit mit 25 schwarz-weißen Kinderporträts ein. Hier sind Kinder aus verschiednen Ländern und Kulturkreisen zu sehen, die bald nachdenklich, bald fröhlich unbeschwert schauen. Verstörend wirkt dazwischen die Aufnahme eines kleinen verwahrlosten Mädchens, das beinahe verzweifelt an einer Zigarette zieht. Kindsein ist nicht immer ganz leicht. Wie zerbrechlich Kinderträume sein können, zeigen die Bilder „Träume I und II“. Die Anhäufung von Seifenblasen gibt dem Kindergesicht dahinter etwas Unwirkliches und Verletzliches. Die fragil anmutenden Kugeln des zweiten Traumbildes nehmen teilweise Spiegelungen des zarten Kindergesichts mit den ängstlichen Augen auf.

Das Bild „Adveniat“ – „Es komme (dein Reich) zu uns“ bezieht sich im Titel auf die Weihnachtsspende der deutschen Katholiken zu Gunsten Lateinamerikas. Die Botschaft der Hoffnung wird hier durch das Bild eines schlafenden Babys verkörpert, das von digital bearbeiteten, durchscheinenden Blüten bedeckt zu sein scheint; Sinnbild für die Hoffnung, dass diese Blütenträume reifen mögen.  

Christa Kolling gewinnt ihrem digitalen Medium aber nicht nur positive Aspekte ab. Den schier unerschöpflichen Möglichkeiten, die die digitale Welt dem Kreativen bietet, stehen Risiken gegenüber, die Auswirkungen auf die Kommunikation und das gesellschaftliche Leben der Menschen generell haben. Besonders Kinder können in ihrer kreativen und sozialen Entwicklung nachhaltig gestört werden, wenn sie nicht den kritischen Umgang mit der „schönen neuen Welt“ lernen. Die Arbeit „Press my buttons“ setzt der virtuellen Welt der Knöpfe die kindliche Sphäre mit ihren Puppen entgegen, in der ein Kind seine Rollen spielerisch ausprobieren kann. Und auch die letzte Arbeit „Allein im Flimmerzimmer“ ist als Appell zu verstehen, Kinder nicht aus Gründen der Bequemlichkeit vor dem Fernseher „zu parken“ und sie und ihre lebendige Kreativität ruhig zu stellen und sie so verkümmern zu lassen.  

Ich bin bewusst nicht auf alle hier gezeigten Bilder im Detail eingegangen, denn Sie sind ja mündige Betrachter und können sich einen eigenen Eindruck verschaffen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei. Die beiden Künstlerinnen freuen sich auf anregende Gespräche mit Ihnen. Bevor es aber damit losgeht, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte nochmals um Gehör für unseren Sänger.  

©Dr. Angelika Hille-Sandvoss

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