Der Fabrikant Kurt Herberts baute sich 1948
in Wuppertal eine Villa ohne rechte Winkel.
Jetzt lebt dort der Bildhauer Tony Cragg -
und nutzt das Grundstück als Museum Es
geht steil bergauf. Vorbei an alten
Baumbeständen windet sich die Straße. In den
Scheitelpunkten der lang gezogenen
Serpentinen konkurrieren mächtige Kunstwerke
mit der Natur. Die organisch anmutenden
Skulpturen des Bildhauers Tony Cragg aus
Marmor, Stahl oder Bronze weisen den
Besuchern wie Wächter den Weg. Oben
angekommen steht man vor einer Wiese, auf
der ein Gebäude, verwachsen wie ein alter
Pilz, tapfer versucht, sich in die
Landschaft einzupassen. Das ist die Villa
Waldfrieden, die Kurt Herberts, der 1989
verstorbene Fabrikant von Lackfarben, sich
hier am Südhang Wuppertals hat bauen lassen.
Getreu den Regeln der Anthroposophie hat er
nach den Vorgaben des Philosophen Rudolf
Steiner den rechten Winkel aus dem
Einmaleins seines Architekten gestrichen.
Entstanden ist so ein Gebäude, das sich in
die Landschaft schmiegt und duckt und das in
seinem Inneren den Eindruck erweckt, man
ginge in einer Walnuss spazieren. Wo immer
man hinsieht, befinden sich Wölbungen,
Kehlen und Rundungen, Treppenabsätze mit
barock anmutenden Marmorabschlüssen,
Türgriffe, die an Vogelflügel erinnern,
Nachttische, deren Schubläden sich wie die
Schleppe eines Pfaus auffächern.Herberts
hatte seine Villa 1948 von Franz Krause, der
1926 Bauführer der legendären Mustersiedlung
am Weißenhof in Stuttgart war und seit 1937
in Wuppertal wohnte, entwerfen lassen.
Krause war wie die Stuttgarter Künstler
Willi Baumeister und Oskar Schlemmer, die
den Nazis wegen ihrer avantgardistischen
Kunstauffassung ein Dorn im Auge waren, in
Herberts Lackfabrik untergekommen. Herberts
wohnte von 1948 bis zu seinem Tod in der
Villa Waldfrieden. Seitdem war das Haus
verwaist und dem Verfall preisgegeben. Und
mit ihm auch der 15 Hektar große,
ursprünglich sorgsam angelegte Park. Damit
dieses bedeutende Baudenkmal wieder neu
entstehen kann, braucht es eine
außergewöhnliche Persönlichkeit, die die
Besonderheit des Ortes erspüren kann.Es war
nicht das, was man allgemein als Liebe auf
den ersten Blick bezeichnet, was Tony Cragg
spürte, als er Villa und Park Waldfrieden
vor drei Jahren für sich entdeckte. "Am
Anfang fand ich die Villa schon etwas
kurios, aber die skulpturale Qualität des
Hauses hat mich interessiert", berichtet der
berühmte englische Bildhauer, der seit über
30 Jahren in Wuppertal lebt.In Waldfrieden
erkannte er den geeigneten Platz, den er für
die Präsentation seiner Skulpturen schon
seit einigen Jahren suchte. Welcher
Bildhauer träumt nicht davon, seine
monumentalen Werke in der Natur aufgestellt
zu sehen, um sie einem größeren Publikum,
aber auch interessierten Sammlern und
Museumsleuten zeigen zu können? Zwei Jahre
haben die aufwendigen Restaurierungsarbeiten
gedauert. Die größte Herausforderung
stellten dabei die Wand- und Deckenrundungen
im Haus dar. Zehn Mitarbeiter aus Craggs
Werkstatt haben fünf Monate lang den Putz
abgekratzt, die Wände neu verspachtelt und
geschliffen. Normale Handwerker hätte diese
Arbeit vermutlich in die Verzweiflung
getrieben, doch Craggs Männer sind absolute
Spezialisten, wenn es um Rundungen und
Wölbungen geht. Denn täglich arbeiten sie
mit höchster Präzision an den schwierigen
amorphen und babypoglatten Skulpturen Craggs.
Auch die Technik war verzwickt. Denn der
anthroposophische Unternehmer Herberts hatte
bei der Konzeption des Hauses auf keine
Bequemlichkeit verzichtet. Er leistete sich
eine Art Klimaanlage für sein Schlafzimmer,
komplett in den Boden versenkbare
Panoramafenster und Telefone auch in
entlegensten Winkeln des Parks. Rudolf
Steiner hätte da sicher den Kopf
geschüttelt. Zudem hatte Herberts ein
starkes Sicherheitsbedürfnis. Versteckte
Kriechgänge führten von seinem Haus direkt
in den Park. Die insgesamt 20 Skulpturen,
die Cragg im Gelände aufgestellt hat, geben
dem dunklen deutschen Wald eine geradezu
englische Lässigkeit. Es ist spannend, auf
den schmalen Wegen leicht bergauf und bergab
zu gehen, um dann überraschend auf
Skulpturen wie "Entfernte Cousine", "Wilde
Verwandtschaft", "Fährmann" oder "Sindbad"
zu stoßen. Einige Skulpturen verstecken sich
im Dickicht des Waldes, andere liegen
prominent auf einer kleinen Anhöhe. Und je
nachdem, wie die Sonnenstrahlen durch die
Äste und Blätter des Waldes fallen, hat man
das Gefühl, die Skulpturen begännen sich zu
bewegen, zu tanzen. Ohne Bäume zu fällen und
ohne Straßen zu bauen, haben Craggs
Mitarbeiter die bis zu 14 Tonnen schweren
Skulpturen Meter für Meter durch den
matschigen Waldboden geschleppt. Jetzt
stehen sie fest verankert auf einem tief in
den Boden greifenden Betonsockel zwischen
Eichen und Buchen, Kastanien und Eschen.
Cragg hat darauf geachtet, dass nichts von
dem kostbaren Gut Wald verloren geht. Selbst
der Eingangspavillon wurde um eine alte
Eiche herumgeplant, sein Dach soll begrünt
werden. Damit der Blick sich nicht auf
Craggs Werk zentriert, haben der Künstler
und sein Architekt Rudolf Hoppe auf dem
Grundriss des ehemaligen Schwimmbades eine
Ausstellungshalle aus Glas errichtet.
Diesmal in der Tradition des Bauhauses, als
klarer rechtwinkliger Kubus. Auf rund 300
Quadratmetern zeigt Cragg hier Werke seiner
ebenfalls berühmten Bildhauerkollegen. Den
Anfang machen, wenn die Ausstellungshalle
demnächst für das Publikum geöffnet wird,
Arbeiten des italienischen Künstlers Mario
Merz. Die Villa selbst wird für die
Öffentlichkeit nicht zugänglich sein. Hier
sollen Seminare und Tagungen stattfinden.
Villa und Park Waldfrieden; Wuppertal
Hirschstraße 12; Park, Ausstellungshalle und
Cafè Podest sind voraussichtlich ab Ende
August geöffnet. Für nähere Informationen
Tel.: 0176/22 99 89 67; Der Park kann gut zu
Fuß vom Wuppertaler Hauptbahnhof aus
erreicht werden.